Welcome Back · Regencapes · Happy Water
Die Nacht auf der Bank ist um – genauso wie der Flug nach Hanoi. Der Hauptstadt von Vietnam. Ein Land, das ich schon kenne. Zwar nur grob, weil ich hier auch nur zehn Tage war – und das im Schnelldurchlauf, dank der Gruppenreise, die ich vor ein paar Monaten gemacht habe.
Und genau deshalb komme ich wieder. Denn ehrlicherweise kann ich mich kaum an etwas aus diesem Land erinnern, weil ich damals mit der Gruppe einfach durchgerauscht bin.
Doch der wichtigste Grund für meine erneute Reise ist das Highlight im Norden. Das, was ich so sehr bereue, beim letzten Mal nicht gemacht zu haben: der Ha Giang Loop.
Es ist eine drei- bis viertägige Motorradtour durch Ha Giang – eine Region im Norden des Landes. Natürlich fahre ich nicht selbst. Ich bin ja nicht verrückt. Immerhin zieren meinen Körper noch die Narben meiner letzten Unfälle mit dem Scooter – und das war auf geraden Straßen, nicht in den Kurven hundert Meter hoher Berge.
Doch ich muss mich noch zwei Tage gedulden. Damit ich nicht komplett ausgelaugt dort ankomme, gönne ich mir eine Nacht in Hanoi. Der Ablauf ist mir bekannt: aus dem Flugzeug raus, den Stempel abholen, Rucksack auf und SIM-Karte am Schalter kaufen.
Dann ein Grab (asiatisches Uber) bestellen – und schon geht’s los ins Verkehrschaos. Die Umstellung vom Links- auf den Rechtsverkehr, und statt Autos beherrschen Scooter die Straßen. Vietnam ist eines der Länder mit dem chaotischsten Straßenverkehr – aber wer Indien überlebt hat, kommt damit auch klar. Es ist nur die Umstellung: Haben in Indien die Ohren vom ganzen Hupen geklingelt, war es in Nepal ruhig. Jetzt beherrschen das Hupen wieder die Straßen – genauso wie Lärm und Dreck. Natürlich nichts im Vergleich zu Indien, aber doch schon bemerkbar im Kontrast zu Nepal. Dort konnte man in der frischen Bergluft gut durchatmen – hier füllen sich meine Lungen wieder mit Abgasen.
Dazu kommen die engen Straßen im Stadtinneren. Ein Auto reiht sich an das nächste, während sich die Scooter ihren Weg hindurch schlängeln. Eine Fahrt von 30 bis 40 Minuten zieht sich auf über eine Stunde. Irgendwann fragt mich der Fahrer, ob es okay ist, hier auszusteigen und zu Fuß zum Hostel zu gehen – denn der Weg mit dem Auto führt weiter mitten durchs Chaos. Eigentlich habe ich etwas dagegen, immerhin habe ich kaum geschlafen, bin von der Anreise geschlaucht und habe keine Lust, noch ewig zu laufen. Doch am Ende sage ich ja, steige mitten auf der Straße aus, packe mein Handy aus und öffne Google Maps. Glück gehabt – das Hostel ist nur noch knappe zehn Minuten entfernt. Also laufe ich dem blauen Punkt auf der Karte hinterher und finde mich wenig später im kleinen Eingang des Hostels wieder.
Typisch für Vietnam – und natürlich auch andere Länder: Einchecken ist erst ab 14 Uhr. Anstatt die Gegend zu erkunden, warte ich im Foyer und betrachte die ganzen Backpacks, die sich auf und unter den Regalen stapeln. So klein ist das Hostel also doch nicht. Schon wieder ein Unterschied zu Nepal – dort waren eindeutig weniger Leute unterwegs.
Ich merke auch schnell, dass ich nicht mehr die einzige Deutsche bin. Wirklich jeder um mich herum spricht Deutsch. Ich frage mich ernsthaft, ob überhaupt noch Landsleute in Deutschland sind oder ob alle hierhergekommen sind.
Beim Einchecken bekomme ich ein Upgrade – da ich nur für eine Nacht bleibe. Statt eines Zehn-Bett-Zimmers bekomme ich ein Sechs-Bett-Zimmer. Nehme ich doch gerne – genauso wie das kostenlose Handtuch und die anschließende Dusche. Danach schlendere ich etwas durch die Stadt, erkenne einiges von meinem ersten Besuch wieder und mache mich auf die Suche nach etwas zu essen.
Die Schüchternheit – und ja, auch die Angst – sorgen dafür, dass ich mich für kein Restaurant entscheiden kann. Das, das ich mir herausgesucht hatte, ist so voll, dass die Leute Schlange stehen. Irgendwann siegt mein Hunger und ich setze mich in ein Restaurant, das sich auf Pho, die lokale Suppe, spezialisiert hat. Und was kann man bei Suppe schon falsch machen? Die Wahrscheinlichkeit, sich eine Lebensmittelvergiftung einzufangen, ist bei heißem Wasser eher gering.
Wie so üblich ist das Frühstück im Hostel inklusive – und so nehme ich es in Kauf, dass es gebratenen Reis zum Frühstück gibt. Wenigstens gibt es Baguette – das kommt Brot und Brötchen doch schon recht nahe. Mit den anderen ins Gespräch zu kommen, ist etwas schwieriger. Es sind alles Spanier und die sind der englischen Sprache nicht ganz so mächtig. Egal. Mit vollem Mund spricht man ja sowieso nicht.
Bis 12 Uhr mittags warte ich auf meinen Pick-up, der mich in den Norden bringt. Das habe ich schon vorher in Nepal geregelt – die Tour kann man einfach online buchen und alles Weitere wird über WhatsApp geklärt. Eine Freundin hat mir die Agentur empfohlen, und ich freue mich schon darauf. Es ist ein kleines Unternehmen, das keine Party-Gruppen beherbergt.
Die Fahrt dauert bis in den späten Abend hinein – und wird zur Überwindung. Es ist ein Schlafbus, das bedeutet: Die Sitze sind Betten, man liegt wirklich. Die Schuhe kommen in eine gelbe Plastiktüte, der Backpack in den Stauraum und alles andere wird irgendwie in der Schlafkabine verstaut. Leider ist mein Bett ganz hinten – und dort schaukelt es gewaltig. Weder in Karussells noch in Achterbahnen wird mir schlecht – aber hier schon. Ich war noch nie so froh, endlich aus einem Bus aussteigen zu können.
Doch dann die Frage: Was jetzt? Hier ist nicht meine Unterkunft. Aber auch dafür ist gesorgt. Ein Taxi nimmt mich und zwei andere weiter mit. Auch wenn die Erklärung aufgrund großer Sprachbarrieren etwas kompliziert ist – am Ende komme ich an. Und das zählt.
In der Unterkunft – dem Haus der Agentur-Besitzer – werde ich direkt herzlich empfangen. Besonders von den zwei kleinen Töchtern, die mit mir Karten spielen, Verstecken und auch vor dem Tanzen komme ich nicht davon. Alles, ohne ein Wort miteinander zu verstehen. Auch so geht kultureller Austausch.
Am nächsten Morgen sitze ich pünktlich am Tisch, bekomme ein Bánh Mì mit Rührei und eine Banane – und dann darf ich warten. Meine Begleiter haben wohl verschlafen. Die Fahrer und die Familie entschuldigen sich immer wieder. Ich winke ab – ist ja nicht ihre Schuld. Dann kommen die beiden endlich – und ich frage mich, wo die anderen sind. Mir wurde doch geschrieben, dass es insgesamt vier Leute plus mir sind.
Etwas enttäuscht bin ich schon. Natürlich wollte ich keine Riesen-Gruppe, die nur auf Party aus ist – aber nur wir drei? Und die Fahrer sprechen kaum Englisch? Das hatte ich mir anders vorgestellt. Aber ich habe keine Wahl mehr – gebucht ist gebucht. Und am Ende sitzen wir ja sowieso nur hinten auf dem Motorrad.
Dann geht es endlich los. Ich steige hinter meinen Fahrer auf das große Bike – vorher natürlich mit Knie- und Schienbeinschonern ausgestattet. Der Helm ist etwas zu groß, aber wenn ich meine Kapuze aufsetze, passt es – und schützt besser gegen den frischen Wind.
Das Wetter ist nicht ganz auf unserer Seite. Es ist kalt. Okay, kann man erwarten – Februar/März in den Bergen. Wenigstens regnet es nicht aus Kübeln. Einzig der weiße Nebel verdirbt einem etwas die Aussicht. Wie schon in Nepal könnte man sagen: „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts.“ Obwohl – so schlimm ist es auch nicht.
Die wichtigsten Aussichten erkennt man und der Nebel macht alles auf eine Art mystisch. Schon cool, wie schnell sich eine Schlucht in ein weißes Nichts hüllen kann. Je höher wir fahren, desto nebliger wird es – und bald sind wir in Regencapes und -hosen eingepackt. Richtig stylisch, dieses durchsichtige Plastik. Besonders, wenn später noch der ganze Schlamm dazukommt. Aber immerhin keine dreckigen Schuhe. Immer positiv denken!
Der Tag endet in einer Unterkunft, in der schon viele andere Gruppen untergekommen sind. Schnell wird mir mein Zimmer gezeigt – und zu meiner Verwunderung habe ich ein Einzelzimmer. Hatte ich nicht eigentlich ein Mehrbettzimmer gebucht? Aber egal – ich beschwere mich nicht.
Ebenso wenig über das Lagerfeuer, das in der Halle aufgebaut wurde. Ohne das Feuer würde ich mir echt den Hintern abfrieren – und ich trage schon mehrere Schichten und meine dicke Jacke. Froh, diese eingepackt zu haben – anders als manch andere. So sitze ich mit den anderen um das Feuer, rede über die Loop und darüber, welcher Tag der Tour es ist. Für die meisten ist es der zweite oder schon der letzte – während ich gerade erst begonnen habe.
Der Tag startet mit einem Bananen-Pancake und heißem Tee, den ich trinke, obwohl ich kein Fan davon bin – aber immer noch besser als Kaffee. Meine Reisebegleiter – ein französisches Pärchen auf Hochzeitsreise – kommen wieder etwas zu spät. Und trotzdem sind wir eine der ersten Gruppen, die losfahren. Wahrscheinlich, weil wir nur drei Leute sind – und alle kaum vom Happy Water getrunken haben. Der berüchtigte, furchtbar schmeckende Reisschnaps.
Wie am ersten Tag komme ich auch am zweiten nicht mehr aus dem Staunen heraus. Ein „Wow“ reiht sich an ein „Unglaublich“. Das, was man trotz Nebel sehen kann, ist einfach unbeschreiblich schön. Die grünen Berge, die Natur, das türkisgrüne Wasser – unfassbar, wie unterschiedlich die Welt aussehen kann.
Unfassbar ist auch, wie die Fahrer auf den nassen Straßen durch die Kurven brettern – während es neben uns kilometerweit in die Tiefe geht. Ohne Leitplanken oder einfache Zäune. Immer wieder sehe ich meine Unfälle auf Zweirädern vor meinem inneren Auge ablaufen – und packe das Motorrad bei jeder Kurve so fest, dass meine Knöchel weiß hervortreten – denke ich jedenfalls, immerhin trage ich Handschuhe. Aber ich weiß: Die Fahrer sind Profis. Meiner meinte, er könnte die Strecke blind fahren – ich bitte ihn trotzdem, die Augen offen zu halten. Sicher ist sicher!
Ich merke schnell, dass es richtig war, mich für dieses Unternehmen zu entscheiden. Anders als die großen Anbieter, die sich auf die Massen spezialisiert haben, fahren wir Strecken, die kein anderer fährt. So sind wir kilometerweit die einzigen auf der Straße. Einfach genial – auch mal etwas für sich allein zu haben und zu sehen, wie die Einheimischen abseits des Tourismus leben.
Teilweise müssen wir sogar Stücke zu Fuß zurücklegen – die Straßen sind zu steil, nass und kurvig, um sie sicher mit dem Motorrad zu befahren. Also lassen uns die Fahrer mit einem breiten Grinsen stehen – und wir laufen hinterher. Dank meiner nicht vorhandenen Ausdauer mit vielen Pausen. Und doch schnappe ich oben nach Luft. Gelohnt hat es sich nicht wirklich – die Aussicht ist eine weiße Wand.
Obwohl ich nur auf dem Motorrad sitze, tut mir alles weh – besonders der Hintern. Man kann sich kaum vorstellen, wie anstrengend es ist, einfach nur hinten drauf zu sitzen. Ernsthaft. Das sagt hier jeder. Und trotzdem: man leidet gern dafür.
Was ich mir aber sicher nicht antun werde: der Sprung ins eiskalte Wasser eines Wasserfalls – der erste Stopp am dritten Tag. Ich versuche nur, mit den Plastiküberzügen auf den rutschigen Steinen nicht auszurutschen – und schaffe es tatsächlich. Froh bin ich, dass wir früh da waren – später müssen sich dutzende andere den Wasserfall teilen.
So geht es generell bei allen Aussichtspunkten zu: Dank unserer kleinen Gruppe sind wir früh dran – und wenn die großen Gruppen kommen, fahren wir weiter. Anfangs war ich enttäuscht über die kleine Gruppe – und hatte Angst, die Hochzeitsreise der anderen zu stören. Jetzt bin ich froh darüber.
Am Mittag trennen sich unsere Wege. Das Pärchen hat nur drei Tage gebucht – ich vier. Während sie zurückfahren, geht es für mich allein weiter – mit meinem Fahrer. Komisch zu wissen, dass ich jetzt erst mal keine anderen Leute sehe, denn der Weg führt uns in ein abgelegenes Dorf ohne Strom. Dort treffe ich ein kleines Mädchen, das mich mit riesigen Augen anstarrt. Man erklärt mir: Ich bin die erste Ausländerin, die sie je gesehen hat. Hoffentlich habe ich mich höflich verhalten und ihr keinen Schreck fürs Leben eingejagt.
Am Abend kommt es anders als gedacht: In der Unterkunft sind noch andere Reisende. Der gedachte einsame Abend wird zu einer lustigen Runde. Und wie sollte es anders sein – die meisten sind wieder Deutsch. Der vietnamesische Trinkspruch erklingt mehrfach, der Reisschnaps fließt (naja, nicht in Strömen – er schmeckt wirklich nicht gut), und das Mikrofon läuft heiß beim Karaoke.
Ich bin froh, dass mein Fahrer einer der ersten ist, die schlafen gehen – und nicht der, der sich beim Löffeldrehen einen Schnaps nach dem anderen hinter die Binde kippt.
Dankbar bin ich auch fürs frühe Zubettgehen – denn heute steht eine anstrengende Aktivität auf dem Plan: Es geht zu einer Höhle, die nur über hunderte Stufen erreichbar ist. Obwohl ich keinen Kater habe, sehe ich schlimmer aus als die anderen, die am Vorabend zu viel Happy Water hatten. Nun ja – kennt man ja von mir.
Am Ende schaffe ich den Aufstieg – mit vielen Entschuldigungen an meinen Fahrer, der warten muss. Aber ich habe ihn gewarnt!
Die Höhle selbst ist nicht so beeindruckend – ich habe schon bessere gesehen. Irgendwie sehen sie doch alle gleich aus. Tut mir leid – ist aber die Wahrheit.
Der Abstieg ist leichter – und bald geht es zurück aufs Motorrad. Wir fahren Richtung Homestay. Mein Fahrer ist müde, will nach Hause – wir reden wenig. Nur notwendige Pausen, um den Hintern zu entspannen. Das Wetter spielt auch nicht mehr mit – ich bin froh, wieder da zu sein und eine heiße Dusche zu bekommen.
Trotz des Wetters bin ich mehr als froh, die Tour gemacht zu haben – und sagen zu können: Ich habe den Loop geschafft. Das T-Shirt, das man am Ende bekommt, trage ich zwar nicht mit Stolz – es ist, ehrlich gesagt, ziemlich hässlich. Ich wünschte, ich hätte eines der cooleren Shirts von anderen Anbietern bekommen. Aber zum Sport zu Hause oder zum Schlafen eignet es sich – und es bleibt eine schöne Erinnerung an die Tour, die mich zurück nach Vietnam geführt hat.