Safari · Enttäuschungen · Rucksäcke
Land Nummer 14 ist Nepal. Am Vortag noch die Grenze zu Fuß überquert, sitzen wir jetzt im Minibus und fahren über die eigentlich nicht vorhandenen Straßen. Der Verkehr ist ruhiger als in Indien – aber wahrscheinlich nur, weil die Straßen gerade alle neu gebaut werden und größtenteils aus Sand und Schutt bestehen.
Der erste Stopp unserer Tour ist der angebliche Geburtsort von Buddha – ein heiliger Ort für Buddhisten aus aller Welt. Das merkt man daran, wie viele Menschen hierherkommen und eine „Opfergabe“ hinterlassen. Das Innere des Gebäudes mit der Ruine ist überhäuft mit Geld und Gold. Man glaubt, dadurch Glück und gutes Karma zu erhalten.
Draußen sitzen Mönche in ihren orangenen Roben nebeneinander. Im Schatten der großen Bodhi-Bäume meditieren sie gemeinsam. Wir setzen uns dazu. Beine überkreuzt, Augen geschlossen. Und sofort spürt man die Ruhe, die entspannte Stimmung. Ich muss ehrlich sagen: Yoga und Meditation waren nie etwas für mich, aber hier habe ich das Gefühl, es gelingt mir besser.
Doch das Gefühl verfliegt schnell auf den unruhigen Straßen, als wir uns weiter auf den Weg zum Nationalpark machen. Dort angekommen, werden wir freundlich empfangen – wie schon in Indien auch hier mit einer Blumenkette und einem farbigen Punkt auf der Stirn.
Schnell werden die Sachen verstaut und dann geht es schon mit Fahrrädern durch das kleine Dorf. Trotz eher schrottreifem Rad genieße ich die Fahrt: Wir kommen an Reisfeldern, Flüssen und süßen kleinen Häusern vorbei und lernen das Leben der Menschen hier richtig kennen. Am Ende sehen wir uns den Sonnenuntergang am Fluss an, bekommen Tee und Kekse und beobachten Enten und Gänse beim Landeanflug auf dem Wasser.
Am Ende streikt mein Körper wieder. Wie schon in Indien wird mir alles zu viel – die Anstrengung der letzten Tage, das Fahrradfahren, die Erkältung, die mich erwischt hat. Ich breche weinend zusammen. Natürlich total peinlich, aber alle reagieren gelassen und verständnisvoll. Und ich schäme mich nur ein kleines bisschen – immerhin kenne ich das ja schon von mir.
Nach einer Pause setze ich mich zu den anderen ans Lagerfeuer. Wir stoßen mit Bier und Cider auf den Tag und die Reise an, bevor es in die Hütten zum Schlafen geht.
Wieder einmal geht es früh aus den Federn. Heute steht ein weiteres Highlight an, auf das ich mich schon lange freue: eine Safari. Natürlich keine mit den „Big Five“, aber mit Nashörnern – und vielleicht gibt es die Chance auf einen Tiger. Das wäre das Größte, denn diese Tiere gehören zu meinen Lieblingen. Dick eingepackt, weil es ganz schön frisch ist, steigen wir auf den Jeep – und schon geht es los in den Dschungel.
Keine fünf Minuten später halten wir wieder an: Neben uns baden eine Nashornmutter mit ihrem Baby im See. Ganz schön mystisch mit dem Nebel – wunderschön. Weiter geht’s und wir sehen noch mehr Nashörner. Natürlich nicht so groß wie ihre Verwandten in Afrika und mit nur einem Horn statt zwei – aber mir egal. Es ist genial, diese Tiere in freier Wildbahn zu sehen statt eingesperrt im Zoo.
Dazu sehen wir auch einen Elefanten – die Freude wird jedoch getrübt, als wir erkennen, dass er in Ketten liegt. Er wird von Soldaten und Farmern genutzt, um neue Wege durch den Dschungel zu „hauen“. Er läuft vor, hinterlässt eine Schneise der Verwüstung, und die Menschen nutzen diese als neue Straße. Bitte nicht.
Einen Tiger sehen wir leider nicht – aber seine Fußspuren. Schade, wir waren so nah dran. Vielleicht gibt es nachmittags noch eine Chance – doch ich passe. Die letzten Tage fordern ihren Tribut. Das schnelle Reisen macht einen mehr fertig, als man denkt. Und dazu die Erkältung, die meinen Kopf dröhnen lässt. Bevor ich wieder zusammenbreche, bleibe ich im Bett. Mache gar nichts und versuche, das schlechte Gewissen abzuschütteln.
Ausgeruht wird dann gefeiert – jemand aus der Gruppe wird 40. Unser Guide hat Kuchen besorgt, es gibt Musik, Tänze aus verschiedenen Ländern und jede Menge Spaß.
Wenn man einen Guide aus dem Land des Yogas hat, selbst gerade dort war und nun im Nachbarland ist, gehört eine Yogastunde natürlich dazu – genauso wie Masala Chai, den ich lieben gelernt habe. Außerdem tut es gut, sich zu bewegen und zu meditieren, bevor man wieder stundenlang im Minibus sitzt.
Wieder fahren wir über unbefestigte Straßen, genießen die Aussicht und kommen dem Himalaya immer näher. Beim Mittagsstopp haben wir einen Blick auf eine Schlucht, der mit nichts zu vergleichen ist – ein echtes Geschenk.
Am Abend erreichen wir Pokhara – die Stadt für Textilien und Klamotten. Hier decken sich die Bergsteiger ein, bevor sie sich dem Abenteuer Mount Everest stellen. Kein Wunder, kosten die Markenprodukte hier deutlich weniger – naja, „echt“ sind sie nicht. Eher echt gefälscht, aber trotzdem gut.
Ich verliebe mich in die Rucksäcke und Schals – am liebsten würde ich alle kaufen. Statt dem Kaufwahn zu verfallen, geht es zum Abendessen und danach in einen Irish Pub, wo wir mit französischem Cider auf deutschen Bundesliga-Fußball anstoßen. Multikulti pur.
Kurve um Kurve geht es weiter hinauf – wir kommen dem Himalaya näher. Noch ist es stockdunkel, doch der Aussichtspunkt ist rappelvoll. Dick eingepackt stehen wir da – der Moment, um das Gebirge zu sehen. Nur gibt es dieses typische „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts“. Der Nebel bleibt. Der große Ausblick? Fehlanzeige. Nur mit geschlossenen Augen und viel Fantasie lässt sich ein Gipfel erahnen.
Tja, auch das gehört zum Reisen: Nicht alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Gegen die Natur kommt man eben nicht an.
Dafür besänftigt der nächste Programmpunkt: Wir besuchen ein Bergdorf, das noch sehr traditionell lebt. Fast abgeschnitten von der Welt, bauen die Menschen alles selbst an und versorgen sich komplett eigenständig. Die Frauen bereiten uns Frühstück vor – selbstgemachtes Brot, Honig für den Tee – so gut, dass sie das Rezept aufschreiben müssen.
Danach folgt eine Führung über den Hof der Familie. Wieder wird mir klar, wie gut ich es zu Hause habe. Diese Familien schuften bis ins hohe Alter, tragen Säcke voller Kaffeebohnen die steilen Wege hinauf – und verdienen dabei weniger als 10 % meines Stundenlohns.
Während viele den Berg zu Fuß hinuntersteigen, komme ich schon aus der Puste, als ich zurück zum Minibus laufe. Warum müssen die Straßen hier immer so steil sein? Und warum ist meine Lunge so beschissen?
Am Ende meistere ich den Weg und genieße den restlichen Tag. Ich gehe shoppen, besorge Geburtstagsgeschenke für Freunde und Souvenirs für mich. Und nein, ich habe mir keinen der Rucksäcke gekauft – und ja, ich bereue es zutiefst. Dafür habe ich die Sonne am See und die ersten warmen Tage in Nepal genossen.
Am Abend feiern wir unseren letzten gemeinsamen Abend: gutes Essen – natürlich mit Momos (die nepalesischen Teigtaschen, unser aller Lieblingsgericht) – und danach Karaoke. Natürlich. Was sonst in Asien? Karaoke gehört hier zum Leben wie die Luft zum Atmen.
Der nächste Tag ist ein reiner Reisetag im Bus – über die gewohnten Schlaglochpisten. Da sich einige für einen Flug entschieden haben, ist genug Platz, um die Füße auszustrecken. Blöd nur, wenn man erkältet ist wie ich. Mein Husten bringt mich fast zum Erbrechen. Wir halten am Straßenrand, ich schnappe panisch nach Luft. Warum eigentlich immer ich? Zum Glück komme ich ohne Zwischenfall wieder klar.
Bevor wir das letzte Hotel erreichen, machen wir noch einen Stopp am „Affentempel“. Ja, der heißt wirklich so – wegen der dutzenden Affen, die hier leben. Ich laufe mit großem Abstand und viel Respekt vorbei. Ich brauche keine weitere Narbe.
Am letzten Abend gehen wir gemeinsam essen. Unser Guide hält eine Rede – einige weinen. Jeder bekommt eine persönliche Karte. Auf meiner steht, dass ich ihn daran erinnert habe, nicht aufzugeben, obwohl man will – weil ich immer weitergemacht habe, trotz aller Strapazen und Zusammenbrüche. Dazu gibt es ein Armband, das Glück und Schutz bringen soll. Ich kann mit Stolz sagen: Es ziert noch heute mein linkes Handgelenk.
Zum letzten Mal erzählen wir von unserem High- und Lowlight des Tages – eine kleine Tradition der letzten Tage.
Da meine Zimmernachbarin schon abgereist ist, habe ich das Zimmer für mich allein – und schlafe aus. Endlich. Kein Plan, kein Wecker, kein Sonnenaufgangsprogramm.
Ich ziehe ins Sechsbettzimmer im Hostel um – back to Backpackerlife. Kein Hotel, kein privater Bus, kein Plan. Und ich genieße es. Endlich wieder reisen in meinem Tempo.
Ich buche eine Free-Walking-Tour und lerne Kathmandu kennen – die „Stadt der Tempel“. An jeder Ecke ein Tempel – jeder mit anderer Bedeutung. Vor der Tour komme ich mit Einheimischen ins Gespräch. Die Menschen hier sind offen, freundlich, nicht aufdringlich. Einfach herzlich.
Abends treffe ich mich mit anderen aus der Gruppe – natürlich in einem Irish Pub. Drei sind schließlich Iren. Danach heißt es endgültig Abschied nehmen. Sie fliegen heim oder weiter nach Sri Lanka. Ich bleibe noch ein paar Tage in Kathmandu.
Ich genieße das Alleinsein. Früher ein Kritikpunkt an meiner Reise – jetzt ein Geschenk. Nach 15 Tagen mit denselben Menschen brauche ich Zeit für mich.
Ich gönne mir langen Schlaf, spätes Frühstück, Serien- und Shopping-Marathon. Und ja – ich habe mir doch noch einen der Rucksäcke gekauft. Und ich bereue es nicht.
Ich laufe mit meinem neuen Schatz durch die Gassen, ignoriere die Blicke, wenn ich Selfie-Videos mache. Ja, es ist schräg – aber wie sonst soll ich Erinnerungen festhalten?
Auch Faulenzertage gehören dazu: spät frühstücken, Instagram updaten, am Buch schreiben, das in meinem Kopf herumspukt.
Ein paar Tage Einsamkeit zahlen sich aus. Ich verabrede mich mit anderen Reisenden, wir sitzen stundenlang auf einer Dachterrasse, erzählen unsere Geschichten – bis das Restaurant schließt und wir immer noch da sind. Die Nepalesen sind eben einfach nette Menschen.
Was ich aber noch nie erlebt habe, ist der Ausblick aus dem Fenster. Mein Gott, ist das atemberaubend. Mit einem gehauchten „WOW“ auf den Lippen war ich noch nie so traurig, keinen Fensterplatz zu haben. Während die Personen neben mir verschlafen, schaue ich mit aufgerissenen Augen nach unten auf das Himalaya-Gebirge.
Noch vor ein paar Tagen hatte ich Pech, jetzt fliege ich direkt daran vorbei – und die Sicht ist glasklar. Ehrlich, scheiß auf Valentinstag und die Liebe – dieser Ausblick ist um einiges besser, als Blumen von einem geliebten Menschen zu bekommen. Besonders als Single.
So macht es mir auch nichts aus, die Nacht auf einer unbequemen Flughafenbank zu verbringen. In Gedanken bin ich schon im nächsten Land.