Karma · Weltwunder · Kulturschock
Morgens geht es los. Mein Bruder fährt mich zum Bahnhof. Ein weiteres Mal kommt der Rucksack auf den Rücken. Dieses Mal etwas leichter als zuvor, denn ich reise nicht so lange und schneller. Der Zug ist pünktlich, mit noch vielen freien Sitzplätzen, und das verunsichert mich. Die DB pünktlich? Jepp, kann auch mal passieren – und so bin ich viel zu früh am Flughafen. Aber besser zu früh als gar nicht, oder?
Am Ende bin ich froh darüber, denn ich finde diesen verdammten Check-In-Schalter nicht. Wie kann es sein, dass ich mich auf den Flughäfen der Welt zurechtfinde, aber nicht am deutschen? Immer wieder laufe ich hin und her, und dann finde ich ihn endlich – versteckt hinter einer Ecke und hinter dutzenden von Leuten einer anderen Schlange verborgen. Nach einer Zeit bin ich dran – und dann der Schock: „Wo ist das Visum?“
Ich zeige ihm den Zettel, den ich vorher extra ausgedruckt habe. Doch das ist nicht das endgültige Visum – nur der Beleg, dass mein Antrag bei der Behörde eingegangen ist.
Ähm? Bitte was? Scheiße. Schon fast in Panik verfallend, zeige ich dem Mann hinter dem Schalter die E-Mail – und glücklicherweise ist das das richtige, wenn auch nicht ausgedruckt. Trotzdem darf ich einchecken.
Ein riesiger Stein fällt mir vom Herzen.
Durch die Sicherheitskontrolle geht es auch schneller, denn dank kürzerer Reise habe ich mich gegen meinen Laptop entschieden. Also weniger Technik, die gescannt werden muss.
Mit einem überteuerten Sandwich vom Bäcker sitze ich am Gate und warte aufs Boarding. Darauf achtend, nur mit der rechten Hand zu essen – weil die linke ja unrein ist. Blöd nur, dass ich das immer wieder vergesse. Hoffentlich kommen die Blicke der anderen Reisenden nicht deshalb. Ich will ja die Kultur respektieren. Versprochen, ich werde weiter darauf achten.
Im Flugzeug sitze ich neben einer netten Frau, die auch eine Tour gebucht hat. Hoffnung steigt auf, dass wir vielleicht die gleiche gebucht haben. Leider nicht – aber auch egal. Wir bleiben im Gespräch, wo sich der Mann in der Reihe mit einbringt. Er ist Inder, war auf Familienbesuch in Deutschland.
Er erzählt uns von seiner Heimat, zeigt uns die Orte, die er schon besucht hat, auf der Karte am Monitor vor uns. Erzählt uns mehr über die Städte, die wir auf unseren Routen besuchen. So schnell kann ein Flug vorbeigehen. Schnell raus und zur Einreise. Dort steigt mein Puls wieder. Lassen sie mich rein, auch wenn ich das Visum nur auf dem Handy habe? Beim Warten höre ich Gespräche dreier anderer Deutscher über eine Gruppenreise. Ich nehme meinen Mut zusammen und spreche sie an – und wie es der Zufall dieses Mal möchte: Wir sind in der gleichen Gruppe.
Am Ende komme ich dann doch durch die Kontrolle, erhalte den nächsten Stempel im Reisepass. Zusammen gehen wir zum Ausgang, wo die anderen schon den Transport vom Flughafen zum Hotel vorgebucht haben.
Dank meiner Erfahrung aus anderen Ländern habe ich das nicht gemacht, frage aber trotzdem, ob ich mitfahren kann – ich würde später zahlen. Doch die Fahrerin versteht nicht ganz mein Anliegen, telefoniert und telefoniert. Am Ende erspare ich uns allen das weitere Warten und buche mir ein Uber.
Dieses fährt mich in die Stadt – aber nicht bis zum Hotel, da dieses im Navi woanders ist als in Wirklichkeit. So kommt es, dass ich mitten auf der Straße lande – keine Ahnung, wo das richtige Hotel ist. Mitten im Chaos – denn die Häuser sehen alles andere als sicher aus. Die Straßen sind mehr Sand als Asphalt und die Leute starren die blonde Ausländerin mit großen Augen an. Ähm, ja. Mist.
Mehrere Männer sprechen mich an, können gottseidank etwas Englisch. Einer davon weiß sogar, wo das Hotel ist und zeigt mir die Richtung. Ich bedanke mich, froh, nicht sofort überfallen worden zu sein obwohl ich mich so gefühlt habe. Laufe dann zum Hotel, wobei ich darauf achte, nicht von einem TukTuk oder Auto überfahren zu werden. Etwas Erfahrung konnte ich ja schon sammeln – und am Ende überlebe ich es. Weitere Stunden dauert es, bis wir einchecken können. Dann, nach einer kurzen Pause und einem Kleiderwechsel, laufe ich mit einer anderen eine Runde durch die Gegend. Doch der Kulturschock sitzt – tief.
Vielleicht auch, weil meine Begleitung in Hotpants und ärmellos neben mir läuft. Die Männer starren – und schnell wird es uns zu viel. Der Lärm, das Starren, der Dreck.
Die weiteren Stunden verbringen wir auf dem Zimmer, dann geht es los: die anderen aus der Gruppe treffen. Eine Vorstellungsrunde – und dann geht es in Taxis durch das Chaos zu den Orten in Neu-Delhi: einem Tempel und dann zum Abendessen.
Das, was meine größte Sorge ist – wir kennen meinen Magen ja. Der, der schon bei einer Currywurst streikt, soll jetzt mit indischem Essen klarkommen? Schluck.
Chicken Masala – ein indisches Gericht. Naja, nicht ganz – kommt immerhin aus England. Der erste Bissen ist lecker – dann brennt alles. Aber sowas von.
Scheiße, die nächsten Tage gibt es dann wohl nur trockenen Reis und Brot. Die Kellner lachen mich aus, als ich nach weiterem Joghurt frage – das Essen ist doch schon auf Touristen-Schärfe angepasst.
Tja, immer noch zu viel für mich. Mit Joghurt geht es dann – irgendwie.
Die erste Nacht ist kurz, geht es vor Sonnenaufgang schon zum Bahnhof und zum nächsten Ort. Der Zug mit Klimaanlage ist besser als gedacht – hat man doch schon so viele schreckliche Videos gesehen. Stunden später sitze ich auf einem Kamel. Eigentlich etwas, was ich nach Ägypten nicht wieder machen wollte – zum Schutz der Tiere. Doch jetzt habe ich keine Wahl und ich vertraue darauf, dass die Agentur auf den Tierschutz achtet. In der Wüste gibt es traditionelle Kleidung, eine Vorführung von Zauberern und Gypsys, einen wunderschönen Sonnenuntergang – und das leckerste Essen bis jetzt. Es ist nämlich nicht scharf.
Wie bei einer Gruppenreise nicht anders zu erwarten, geht es schnell weiter. Am nächsten Tag ist die nächste Zugreise in die nächste Stadt: Jaipur – die rosafarbene.
Mit drei Personen quetschen wir uns in die TukTuks, rasen mit Mordstempo durch das Straßenchaos. Meine Ohren schon halb taub vom Hupen. Ein kleiner Stopp hier und da – und am Ende der Besuch im Astronomie-Museum. Eigentlich nicht so ganz mein Interesse, aber hier in Indien wurde es laut Aussagen erfunden, und hier ist es so wichtig, dass die ganzen Ehen noch heute darauf aufgebaut werden. Am Ende muss ich sagen – war es ziemlich interessant. Auch, wie es die Leute früher geschafft haben, durch Mathe und die Sonne die Zeit zu bestimmen. Der Abend endet auf einer Dachterrasse mit Drinks, erträglichem Essen – und einem Feuerwerk, das dem Todestag von Gandhi gewidmet ist.
Ausschlafen? Fehlanzeige. Wieder mal klingelt der Wecker vor Sonnenaufgang. Dieses Mal steigen wir aufs Fahrrad und erkunden die Stadt. Hey, etwas, das ich kenne! Fahrrad fahren. Der Grund für die frühe Stunde? Der Verkehr – würden wir später los, wären die Straßen so voll und chaotisch, dass es lebensgefährlich für uns wäre.
Damit wir gutes Karma für den Tag sammeln, geht es als Erstes zum Kühe füttern. Diese sind heilig in Indien und laufen zu unserem Staunen einfach so frei herum oder stehen auch gerne mal mitten im Weg. Mit Grasbüscheln, die schneller unsere Hand verlassen, als wir gucken können, und einer Streicheleinheit ist das Karma hoffentlich auf unserer Seite.
So fahren wir an den Sehenswürdigkeiten vorbei, machen ein Foto nach dem anderen und genießen die Ruhe vor dem Sturm. Im Park schließen wir uns ein paar älteren Herren an, die sich jeden Tag zum gemeinsamen Lach-Yoga treffen. Wirklich... interessant. Jedenfalls konnten wir uns vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten. Und lachen soll ja gesund sein, also. Danach geht es zu einer Zeremonie im Tempel, über den Markt und als Snack gibt’s die leckeren Samosa, die ich schon aus Sri Lanka kenne.
Am Ende – na ja, eigentlich noch relativ früh am Tag – haben wir erfolgreich am Straßenverkehr in Indien teilgenommen. Was mich schon stolzer gemacht hat als die Fahrradprüfung in der Grundschule bestanden zu haben. Da es viel zu sehen gibt, geht es bald weiter – und wie soll es auch anders sein? Mit dutzenden von Stufen. Doch dank Begleitung und langsamem Tempo schaffe ich es auch dieses Mal. Verfluche aber weiterhin jede einzelne Treppe. Doch der Aufstieg hat sich gelohnt. Das Amber Fort, eine riesige Anlage bzw. ein Palast, ist beeindruckend – und wieder einmal frage ich mich, wie es die Leute immer schaffen, so etwas ohne moderne Technik zu bauen.
Der Abend endet mit einem Spaziergang über den Basar, der mich schnell an meine Grenzen bringt. Eigentlich kenne ich das ja schon aus Marokko und Ägypten, und ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe. Aber die Müdigkeit schlägt zu und ich bin nur noch genervt. Wenigstens kann ich damit die dutzenden TukTuk-Fahrer mit einem klaren Nein abwimmeln.
Dann kommt der Tag, auf den ich gewartet habe. Okay, noch nicht ganz – aber schon nah dran. Es geht früh zum Bahnhof und mit dem Zug nach Agra. Der Stadt mit dem Weltwunder. Der Tag geht mit der Zugfahrt drauf. Nicht vergessen – Indien ist riesig. Wir fahren mit dem TukTuk nur zum Aussichtspunkt und ich werfe meinen ersten Blick auf Weltwunder Nummer 4 (wenn man Angkor Wat mitzählt). Unzählige Fotos später und mit einer beeindruckten Aennchen geht es zum Abendessen und ins Bett.
Es ist noch dunkel, als der Wecker klingelt. Doch schnell schüttle ich den Schlaf ab. Heute besuchen wir das Weltwunder von innen. Und schnell wird klar, warum wir so früh da sind: Schon bevor es überhaupt öffnet, stehen unzählige Leute in der Schlange. Dann endlich öffnen sich die Tore. Es geht durch Ticketkontrolle, Sicherheitscheck, Taschenkontrolle und einen weiten Weg bis zum eigentlichen Gelände.
Alles hat sich gelohnt. Das riesige Gebäude, wie es in der aufgehenden Sonne strahlt und uns alle überragt, verschlägt mir die Sprache.
Schnell geht es zur Bank. Ja. Genau. Die Bank. Wer nicht weiß, wovon ich spreche: Lady Di. Dort, wo Prinzessin Diana alleine saß und das Foto in die Weltgeschichte einging. Genau dort sitze ich auch. Schnell muss man sein – wie ein Sprinter zur Bank sprinten, ein paar Bilder schießen, und schon springt der Nächste auf die Bank. Und was soll ich sagen? Ich liebe diese Bilder. Besonders, so bearbeitet, dass kein anderer im Hintergrund zu sehen ist.
Dann bekommen wir einen Einblick in die Geschichte des Gebäudes. In Wirklichkeit ist es ein Symbol der Liebe. Ein ehemaliger Mogul hat das Mausoleum für seine Frau gebaut, weil er ihr ein Versprechen gegeben hatte. Sie bekommt das schönste Andenken der Welt.
Es ist schön – und die tragische Geschichte dahinter macht es noch besonderer. Aber es wiegt nicht auf, wie viele Menschen beim Bau und danach ihr Leben verloren haben. So läuft man über Millionen von Toten, wenn man die Wege entlangschreitet. Es ist nicht nur ein Mausoleum für das Liebespaar, sondern auch für Tausende von Arbeitern. Diese werden natürlich ebenso geehrt.
Am Nachmittag besuchen ein paar von uns das Red Fort, eine Anlage zum Schutz der Stadt. Hier fragen wir uns: Wo sind all die anderen Menschen? So wenige Leute habe ich in Indien noch nicht gesehen. Aber hey – ich beschwere mich nicht. Auch mal schön, etwas zu sehen, ohne sich durch Menschenmassen zu drängeln.
Mit dem Nachtzug geht es weiter in die nächste Stadt. Und obwohl das eigentlich kein schöner Anlass ist, kommt ein kleines Heimatgefühl auf. Der Zug lässt sich ganze zwei Stunden Zeit. Doch wozu gibt’s UNO? So sitzen wir im Kreis auf dem Bahnsteig, spielen UNO – und werden bald von Einheimischen und Affen umzingelt. Etwas, das sie wohl nicht jeden Tag sehen.
Erleichtert, dass wir weder von Indern ausgeraubt noch von Affen angegriffen wurden, steigen wir in den Zug. Auch der Guide ist erleichtert. Hatte er doch erwartet, dass der Zug überfüllt sein würde – so wie noch vor ein paar Tagen. Doch wir haben Glück – oder das gute Karma vom Kühe füttern hängt uns noch nach.
Irgendwie schafft es der Zug dann doch, pünktlich anzukommen – trotz zwei Stunden Verspätung. Die Zimmer sind allerdings noch nicht fertig. Also sitzen wir in der Lobby und holen etwas Schlaf nach. Am Ende geht es in eine Mall – ein paar Snacks und eine kleine Erholung vom indischen Essen. Wir landen bei Burger King – aber leider ist es nicht das ersehnte Heimatgefühl. Der Mund brennt höllisch – der Burger war schärfer als gedacht.
War das Red Fort und der Zug noch leer, ist es die Stadt jetzt nicht. Kein Wunder – es ist eines der wichtigsten und heiligsten Feste in Indien, und wir sind in einer Stadt, nicht weit von dem Ort entfernt, an dem eine Gottheit die Erde betreten haben soll. Millionen von Menschen und dutzende Kühe drängeln sich auf den Straßen. Wir mittendrin. Dann der große Schock: Wir kommen an einem Tempel vorbei – einem, in dem Leichen verbrannt werden, deren Asche dann im Ganges verteilt wird.
Für Inder ist das normal, sogar feierlich – wird der Tod hier doch gefeiert. Für uns Westliche ist das nicht gerade ein Anblick, den man jeden Tag sieht – oder überhaupt sehen möchte. Besonders schwer fällt mir der Gang an den Scheiterhaufen vorbei – nicht, weil ich die Flammen sehe, sondern weil ich weiß, dass ich gerade die Asche eines toten Menschen einatme.
Ja, die Luft ist dreckig. Das sehe ich jedes Mal, wenn ich mir die Nase putze – oder nur die Ohren. Aber jetzt zu wissen, dass der Dreck einmal ein Mensch war? Das bedrückt mich ehrlich gesagt.
Ich bin mehr als froh, endlich aus dem Gedränge zu kommen und etwas saubere Luft atmen zu können.
Am nächsten Tag besuchen wir eine Sonnenaufgangszeremonie, bei der die Inder den Sonnenaufgang feiern und im Ganges baden. Ich hinterher. Ja, wirklich – ich war im Ganges. Aber nur bis zu den Knien. Und nein – ich bin danach nicht krank geworden. In einer Art Blumen-Zeremonie habe ich meine Sorgen den Ganges hinuntergespült und mich „rein“ gewaschen. Und auch wenn ich eigentlich nicht spirituell bin oder an so etwas glaube – es hat mich auf eine Weise berührt. Ich bin dankbar, das erlebt haben zu dürfen.
Nur für die Millionen anderer Menschen bin ich nicht so dankbar. Das Gedränge, die aufdringlichen Inder, die ein Foto nach dem anderen wollen, der wenige Schlaf und meine nicht vorhandene Ausdauer zeigen ihren Tribut. Am Ende kann ich nicht mehr – und breche ein weiteres Mal in Tränen aus. Schnell beruhige ich mich wieder, und der Ausblick vom Dach einer Moschee über den Ganges und die Stadt im Licht der aufgehenden Sonne hilft, neue Kraft zu tanken. Die Dankbarkeit kommt zurück.
Der nachgeholte Schlaf hilft auch – und so kann ich den Sarnath-Tempel richtig genießen. Vielleicht liegt es an der Ruhe und dem Frieden, der hier herrscht – wie man es von buddhistischen Anlagen kennt. Und für diese Religion ist dieser Ort einer der wichtigsten, denn hier hielt Buddha seine erste Rede. Da ich schon viel in buddhistischen Ländern unterwegs war und mich mehr mit der Kultur auseinandergesetzt habe, war es auch für mich ein beeindruckender Ort – und einer meiner liebsten in Indien.
Das beste Essen in Indien bekomme ich am letzten Tag in diesem Land. Bei einer einheimischen Familie, die wir zum Mittagessen am langen, reinen Reisetag besuchen. Das Essen ist nicht scharf – und so lecker, dass nichts übrig bleibt. Selbstgemachte Hausmannskost ist eben doch immer noch das beste Essen.
Dann laufen wir zum letzten Mal über indische Straßen. Nachdem wir den Ausreisestempel erhalten haben, überquere ich mit den anderen zu Fuß die Grenze in Land Nummer 14.